Es ist fast zwanzig Jahre her, dass Prostitution in Deutschland entkriminalisiert wurde. Seit einigen Jahren gilt auch das Prostitutionsschutzgesetz. Dennoch wird der rechtliche wie der gesellschaftliche Umgang mit Prostitution von allen Seiten kritisiert. Obwohl Amnesty zu diesem Thema eine feste Position vertritt (nachzulesen hier), wollten wir dem gesellschaftlichen Diskurs entsprechend unseren Gästen am 28. Januar 2020 ein differenziertes Bild bieten. Deshalb haben wir in das Panda Theater einige interessante Gäste aus unterschiedlichen Bereichen zu einer Podiumsdiskussion eingeladen, die sich persönlich, beruflich, wissenschaftlich oder aktivistisch mit dem Thema auseinandersetzen. Anschließend gab es einige Fragen aus dem Publikum. Falls ihr nicht dabei wart, fassen wir hier die Diskussion für euch zusammen!
Unsere Moderatorin fängt mit einer Frage nach Begrifflichkeiten an. Einige mochten den Begriff Sexarbeit verwenden, andere meinten, hier ginge es weder um Sex noch um Arbeit und wollten lieber den Begriff Prostitution verwenden. Eins wird gleich am Anfang klar: Das Thema polarisiert. Dennoch konnten wir an dem Abend einige wichtige Punkte herausarbeiten, die uns allen einen.
ENTKRIMINALISIERUNG VON FRAUEN
So war es unseren Gästen wichtig, dass Sexarbeiterinnen* auf keinen Fall kriminalisiert werden sollten. Die Vertreter*innen des so genannten Schwedischen Modells forderten allerdings die Kriminalisierung der so genannten Freier. Hingegen meinte die Sexarbeiterin Kristina Marlen, dass dies de facto ihr Berufsfeld kriminalisieren würde und somit auch sie.
Dieser Meinungsdifferenz liegt weiterhin zugrunde, dass einige meinen, Frauen würden nur aus Zwang oder Alternativlosigkeit in die Prostitution gehen, so Annemarie Schoß, Vertreterin der Frauenrechtsorganisation TERRES DE FEMMES und die Aktivistin sowie ehemalige Sexarbeiterin Marie Merklinger. Hingegen betonten andere, dass man mit solcher Argumentationsstruktur Frauen die Mündigkeit abspreche, über ihre eigenen Körper, Sexualität und Berufe entscheiden zu können. Kristina Marlen betonte, es sei an der Zeit, diesem Narrativ ein Ende zu setzen.
Die Frage nach Freiwilligkeit hat im Laufe des Abends mehrmals für Diskussionen gesorgt. Marie Merklinger meinte, von Freiwilligkeit könne man bezüglich der Sexarbeit nur sehr begrenzt sprechen. Denn erstens können nach Merklinger viele Frauen nicht einschätzen, was sie in diesem Beruf genau erwarte. Ihr selbst wären erst einige Jahre nach ihrem Ausstieg die belastenden Folgen ihrer Tätigkeit bewusst geworden. Zweitens gehöre laut Merklinger die Mehrheit der Sexarbeiterinnen in den meisten Ländern marginalisierten Gruppen wie Migrantinnen an, die aus finanzieller Not in die Sexarbeit gedrängt werden. Gerhard Schönborn führte weiter aus, als Vorsitzender einer Beratungsstelle würde er regelmäßig mit Gewaltvorfällen in Prostitution konfrontiert. Auch er meinte, Alternativlosigkeit sei das Einzige, was Frauen in diesem Beruf halte, denn Gewalt in der Prostitution sei allgegenwärtig.
Dahingegen forderten einige unserer Gäst*innen, unter anderem auch die Vorsitzende des Deutschen Frauenrats Susanne Kahl-Passoth, das Feld der Sexarbeit differenzierter zu betrachten. Kristina Marlen riet davon ab, auf einer Seite die reine Sexualität, wie die in der Ehe, zu sehen (denn auch dort gäbe es Gewalt) und auf der anderen Seite die böse entgeltliche Sexualität – denn auch dort gäbe es die Möglichkeit, Sexualität selbstbestimmt auszuleben.
MEHR BERATUNGSANGEBOTE FÜR SEXARBEITERINNEN
Unsere Gäst*innen haben sich im Laufe der Diskussion auf allen Seiten für mehr Anlauf- und Beratungsstellen für Sexarbeiterinnen ausgesprochen. Dies stünde auch beim Schwedischen Modell im Mittelpunkt, welches Hilfe für den Ausstieg aus dem Beruf als eins der wichtigsten Ziele vorsehe. Die Gegner*innen des Modells meinten aber, Beratungsstellen könne und solle man auch unabhängig von einem so genannten Sexkaufverbot anbieten.
Bei dem Verbot sah Susanne Kahl-Passoth außerdem die Gefahr, dass Frauen stigmatisiert würden und sich folglich weniger an Beratungsstellen bzw. an die Öffentlichkeit wendeten. Diese Aussage wurde von Susanne Bleier-Wilp (Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen und ehemalige Sexarbeiterin) bestärkt, die weltweit mit Sexarbeiter*innen gesprochen und die negativen Auswirkungen der Stigmatisierung beobachtet habe. Eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen sei vielmehr dadurch zu erreichen, dass man mehr Möglichkeiten zur Vernetzung schaffe und dafür brauche man die Legalität. Überall, wo Frauen sich organisieren und vernetzen können, fühlten sie sich sicherer, so Bleier-Wilp.
Die Sozial- und Kulturanthropologin Ursula Probst betonte bezüglich der Schutzmaßnahmen bei der Einführung zunächst, Probleme in der Sexarbeit seien häufig mit diversen gesellschaftlichen Problemen verflochten, unter anderem mit Mangel an sozialer Sicherheit, geschlechterspezifische Armut, Wohnungsnot, schlechte Versicherungsmöglichkeiten für Selbstständige, fehlende Therapieplätze usw. Will man die Lebensbedingungen der Sexarbeiterinnen verbessern, solle man auch bei diesen Problemen ansetzen.
BESSERER SCHUTZ
Mehr Aufklärung, mehr Anlaufstellen, mehr Alternativen für Frauen, Anerkennung der Würde der Sexarbeiterinnen, sichere Arbeitsbedingungen und Bekämpfung des Stigmas – zum Schluss hat unsere Moderatorin nach Verbesserungsmöglichkeiten der derzeitigen Lage gefragt und diese Vielzahl an Antworten erhalten.
Die Podiumsdiskussion sowie die anschließenden Fragen und Anregungen aus dem Publikum haben viele weitere wichtige Punkte angesprochen, für die wir uns hier noch einmal ganz herzlich bedanken wollen!
*Uns ist bewusst, dass es auch männliche Prostitution gibt, allerdings ging es bei der Podiumsdiskussion vornehmlich um weibliche Prostitution, deshalb wird in dem Beitrag auch überwiegend das weibliche Geschlecht verwendet.